Schneider aus Syrien: „Die können wirklich was!“

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In Maria Saal hat Barbara Rupitz auf ihrem Dachboden ein Integrationsprojekt für Schneider aus Syrien initiiert, bei dem es um Anerkennung, Aufmerksamkeit und Begegnungen auf Augenhöhe geht.

Schneider aus Syrien, Nähwerkstätte, Foto Anita Arneitz, www.anitaaufreisen.at

Wie Integration mit Flüchtlingen aus Syrien gelebt werden kann

Im lichtdurchfluteten Dachboden von Barbara Rupitz geht es an mindestens zwei Nachmittagen in der Woche rund: Auf dem Tischtennistisch liegen Stoffe, Schnitte, Schere und Maßband. Der Dampf vom Bügeleisen verteilt sich im Raum und die beiden Nähmaschinen rattern auf Höchstgeschwindigkeit. Stoffspenden sind in Regale einsortiert, Zwirnspulen in kleinen Lädchen verstaut und die Knöpfe in einer alten Schulbank zwischengelagert. Mithilfe von Freunden hat Rupitz seit September 2015 in ihrem Haus eine Nähstube für jene Flüchtlinge eingerichtet, die im Ort in einer Pension wohnen. Gemeinsam werden Taschen, Polster, Schürzen oder kleine Accessoires gefertigt.

„Durch das Nähprojekt wollen wir einerseits den Flüchtlingen ermöglichen, sich in ihrem erlernten Beruf zu betätigen, um ihre handwerklichen Fähigkeiten nicht zu verlernen oder diese ans Licht bringen. Andererseits erhalten sie eine sinnvolle Beschäftigung und eine willkommene Abwechslung in ihrem schwierigen Alltag“, erklärt die gebürtige Vorarlbergerin. Sie selbst hat eine Textil-HTL absolviert und als Krankenschwester gearbeitet. Sie versteht, wie es ist, irgendwo neu anzufangen.

Schneider aus Syrien, Nähwerkstätte, Foto Anita Arneitz, www.anitaaufreisen.at
Barbara Rupitz

Integration über Aktivität

Die Menschen haben auf der Flucht alles zurückgelassen. Sie sind traumatisiert, haben ihre Familien, ihre Heimat, ihren Platz in der Welt und jegliche Perspektive verloren. „Menschen in dieser Situation haben Angst, auch wenn sie es bereits bis Österreich geschafft haben. Sie brauchen unsere Anteilnahme und Unterstützung“, ist Rupitz überzeugt. Mit dem Nähprojekt will sie ihnen zeigen, dass Zusammenleben in Frieden möglich ist. „behüten & tragen“ nennt sie ihr Projekt. Der Schriftzug findet sich auch auf allen genähten Stücken wieder, die vor Ostern bei einem Basar vor der Kirche verkauft werden. Aus dem Erlös werden die Flüchtlinge unterstützt und weitere Nähprojekte ermöglicht.

Die Atmosphäre ist heimelig, herzlich und zwanglos. Es wird gelacht, einander geholfen, übersetzt, beratschlagt und manchmal sogar ohne viele Worte gefachsimpelt. Immer wieder schaut jemand bei der Tür rein, grüßt kurz oder bleibt auf ein kleines Schwätzchen. Brigitte Jordan ist von Anfang an dabei und zeigt Schwester Elisabeth stolz die 15 neuen und die neun renovierten Kronen für die Sternsinger – gefertigt von den syrischen Flüchtlingen. „Sie lernen von uns und wir von ihnen“, sagt Rupitz. In den wenigen Monaten ist das gegenseitige Vertrauen und die Achtung gewachsen. Die Nähstube ist eine Lern- und Kommunikationsmöglichkeit.

„Die Asylwerber lernen unsere Kultur, unsere Sprache, vor allem aber auch die Fachsprache“, erklärt Rupitz.

Gemeinsam werden die deutschen Nähanleitungen gelesen. Neue Fachbegriffe werden fein säuberlich in ein Heft geschrieben und arabisch übersetzt. Stecknadel und Kurvenlineal stehen dort genauso wie das Wort Frieden – der Herzenswunsch der Asylwerber.

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Die Schneider aus Syrien

Vor dem Krieg war Syrien eine Hochburg der Schneiderkunst. Textilien wurden in großen Fabriken produziert, Roben aus 1001 Nacht per Hand in Coutureateliers genäht. Märchenhafte Brautkleider und Abendkleider mit Spitze ist die Profession von Damenschneider Kawa Abhalla. Er zeigt die Fotos auf seinem Smartphone: elegante und figurbetonte Kleider, manches davon sogar bekannt aus Hollywood. Komplizierte Korsagen, Raffungen oder Clutch-Handtaschen sind für ihn ein Kinderspiel. Nahtzugabe, Zuschnitt im Fadenlauf, Schuss und Kette – zwar kannte er die deutschen Begriffe nicht, aber er wusste sofort, was damit gemeint ist. Gerne möchte er beruflich wieder Abend- und Brautkleider nähen. Er vermisst seine Frau und seine beiden kleinen Kinder.

Schneider aus Syrien, Nähwerkstätte, Foto Anita Arneitz, www.anitaaufreisen.at

Austausch von Fachwissen

Schneidermeisterin Brigitta Jordan leitet seit 20 Jahren Nähkurse und unterstützt das Projekt mit fachkundigem Rat. „Die Burschen können wirklich was. Sie haben guten Anpack, sind ausdauernd bei der Fertigung, arbeiten sauber und ordentlich, kennen sich mit den Maschinen aus, wissen viel und bemühen sich Deutsch zu sprechen“, berichtet sie. Als Nächstes ist das Upcyclen von alten Jeans geplant.Schneider aus Syrien, Nähwerkstätte, Foto Anita Arneitz, www.anitaaufreisen.at

„Es ist sehr schön hier. Barbara und Brigitta sind gute Lehrerinnen“, findet der Herrenschneider Khamis Hanouch. Er hat viel Erfahrung im Schneidern von Anzügen sowie Blazern. Eine Tasche für eine Yogamatte hat er mit Passepartout eingefasst, die Mütze vom Nachbarn perfekt nachgenäht oder kunstvoll per Hand zwei Meter Rüschen für ein Dirndl gelegt. „Ich liebe das Nähen und die Schneiderei“, strahlt er. Das Lächeln verschwindet aber rasch, als er von der Trennung von seiner kleinen Tochter erzählt. Seit zehn Monaten wartet er in Österreich auf die Entscheidung des Asylantrages. Arbeiten darf er während dieser Zeit nicht.

Rami Hamwi näht seit seinem 17. Lebensjahr. Er hat in Aleppo gelebt und ist seit neun Monaten in Österreich. Inzwischen spricht er ausgezeichnet Deutsch und stellt süße Dinkelkissen für Kinder oder wendbare Schürzen für kochende Mamis und ihre kleinen Helfer her. Valid Khalil kommt ebenfalls aus Syrien, wo er viele Jahre Hosen und Krägen genäht hat. Der Kontakt zur Familie wird per WhatsApp gehalten, vorausgesetzt das Internet funktioniert in den jeweiligen Regionen. In der Nähstube sind sie aber nicht die Flüchtlinge, sondern einfach Menschen, die ihre Fähigkeiten zeigen.

Schneider aus Syrien, Nähwerkstätte, Foto Anita Arneitz, www.anitaaufreisen.at

Nachahmen erwünscht

„Wir wollen unsere positiven Erfahrungen an die Öffentlichkeit bringen, Ängste abbauen und Menschen motivieren selbst aktiv zu werden“, sagt Rupitz, während im Hintergrund die nächste Tasche fertig wird. Damit solche Projekte zu keiner Eintagsfliege werden, sei es wichtig, vorab zu überlegen, welche Ressourcen einem selbst zur Verfügung stehen und was auch für die jeweiligen Asylwerber passe. Rupitz: „Ich kann nur jeden ermutigen etwas selbst auf die Beine zu stellen, man wird vom Umfeld unterstützt und bekommt so viel zurück.“ Es wird dann zu einer Win-win-Situation, wenn die Begegnungen auf Augenhöhe stattfinden – Anerkennung und Wertschätzung.

 

Update: Seit die Reportage veröffentlicht wurde, ist ein Jahr vergangen. Vieles hat sich getan. In der Nähwerkstätte wird weiter geschneidert.

 

Fotos: Anita Arneitz

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