Narrenturm in Wien: Die Anfänge der modernen Psychiatrie

Lesezeit: 3 Minuten

Der Narrenturm in Wien war eine der ersten psychiatrischen Heilanstalten Europas. Für damalige Verhältnisse fortschrittlich, hat der Narrenturm mit heutigen Kliniken kaum mehr etwas gemeinsam. Ein Ausflug in ein dunkles Kapitel der Medizingeschichte.

Gruselig-interessant – der Narrenturm in Wien

Der Narrenturm, ein kreisrundes Gebäude, versteckt in einem der hintersten Winkel des Wiener Uni-Campus. Es ist ein kalter Vormittag im Februar. In den Campushöfen, die man durchqueren muss, um zum Narrenturm zu gelangen, zieht es fürchterlich. Trotz dicker Winterjacke kriecht einem die Kälte unter die Haut, fühlt sich an wie tausend Nadelstiche. Im Narrenturm selbst ist es nicht viel besser. Das Gebäude ist in keinem allzu guten Zustand. Die Wände sind aufgrund eines Wasserschadens beschädigt, die Holzbretter am Boden knarren bei jedem Schritt. Immerhin schützen die dicken Steinmauern aber vor dem eisigen Wind, der draußen weht.

Gebäude voller Mängel

Umso größer der Schock, als der junge Mann, der die Führung durch die ehemalige psychiatrische Anstalt leitet, erzählt, dass die Zellen der hier untergebrachten Kranken zeitweise keine Glasfenster hatten. Denn: Kälte galt als beruhigend, war eine der Behandlungsmethoden für Geisteskranke. Gespannte Tierhäute mussten den Kranken reichen. Die zentrale Beheizung funktionierte außerdem nicht und beförderte größtenteils Rauch und Schmutz in die Krankenzellen. Hinzu kam eine enorme Geruchsbelästigung. Einen Kanal oder eine Wasserleitung gab es im Narrenturm nämlich nicht. Wasser würde sich schließlich negativ auf die Irren auswirken und ihren Wahnsinn nur verstärken, davon war Kaiser Joseph I. überzeugt. Später stieg man immerhin auf den guten alten Nachttopf um. Die Patienten teilten sich zu zweit ein Zimmer. In diesen befanden sich zwei Betten, ein Tisch und zwei Stühle. Nur die tobenden Patienten wurden in den oberen Etagen in Zellen mit Strohsäcken untergebracht.

Fortschritt in der Medizin

In Zeiten der modernen Medizin ist es kaum zu glauben, dass „Kaiser Josephs Guglhupf“, wie der Narrenturm im Volksmund genannt wurde, eine der ersten fortschrittlichen psychiatrischen Heilanstalten Europas war. Der Gedanke, ein Irrer, ein Narr leide an einer Krankheit, war damals revolutionär. Im 18. Jahrhundert hielten die meisten Menschen nämlich noch immer am Irrglauben fest, Wahnsinn, Melancholie oder epileptische Anfälle seien Strafen Gottes für diverse Verfehlungen. Im Narrenturm wollte man die Patienten nicht mehr bloß wegsperren und von der Gesellschaft isolieren, sondern sie tatsächlich heilen. Die damaligen Behandlungsmethoden erscheinen heute allerdings mehr als fragwürdig: Ketten an den Wänden, um tobende Patienten unter Kontrolle zu bringen, Aderlass, um die vier Körpersäfte wieder ins Gleichgewicht zu bringen, Kältebäder zur Beruhigung – all das klingt eher nach Folter, als nach medizinischer Behandlung.

Todesfälle und Schaulustige

Manche Patienten konnten den Narrenturm geheilt verlassen. Einige hatten weniger Glück und blieben krank oder starben sogar noch während ihres Aufenthaltes. Ein erschreckendes Beispiel, das während der Führung gezeigt wird: der Magen eines tobenden Patienten, der mit Stroh gefüllt ist. Der Mann hatte dieses gegessen. Weil Menschen Stroh nicht verdauen können, verhungerte er mit vollem Magen. Was beinahe noch stärker in Erinnerung bleibt, ist die Tatsache, dass man eine hohe Mauer um den Narrenturm bauen musste, weil Schaulustige sich einen Spaß daraus machten, die „Narren“ im Garten zu belästigen. So manch einer kletterte sogar am Gebäude hoch, um einen Irren aus nächster Nähe sehen zu können. Wem diese grausigen historischen Fakten noch nicht genügen, der kann sich die pathologisch-anatomische Sammlung des Naturhistorischen Museums ansehen, die im Narrenturm ausgestellt ist. Von Pocken über diverse Deformationen bis hin zu Geschlechtskrankheiten gibt es hier alles zu sehen. Verlässt man den Narrenturm, ist man definitiv froh, im 21. Jahrhundert zu leben.

Der Beitrag ist im Rahmen des Zertifikatskurses Digitaljournalismus 17/18 am Fjum Wien entstanden. Die dunklen Seiten der Stadt erkunden die fünf Journalistinnen Anita Arneitz, Tamara Bogner, Teresa Freudenthaler, Katharina Kunz und Petra Rosenblattl. Hier erfährst du mehr über das Projekt Dark.Wien.

 

Comments are closed.

Navigate