Reisejournalismus: Schreiben über ferne Länder

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Was Reisejournalisten so alles in ihren Block kritzeln, warum eine Recherche kein Honigschlecken ist und wieso ich gerne das Weite suche.

Die Luft flimmert. Mit jeder Stufe werden Sonnenlicht und Sauerstoff nach oben verdrängt, und als der Modergeruch fast unerträglich wird, liegen sie vor mir: die Mumien. Doch die schweigsamen Geheimnisträger befinden sich nicht in einer ägyptischen Pyramide, sondern in einer kleinen beschaulichen mittelalterlichen Stadt in Italien. Obwohl sie nicht sprechen, erzählen sie eine außergewöhnliche Geschichte. Und genau solche Geschichten machen mich neugierig. Ich folge ihren Spuren: frage den kroatischen Winzer, warum er seine Sektflaschen am Meeresgrund versenkt und nur mit GPS wiederfindet oder begleite eine slowenische Familie bei der Salzblütenernte in den Salinen. Natürlich dürfen bei diesen Entdeckungsreisen auch die kulinarischen Abenteuer nicht fehlen – ob eine rustikale kärntnerische Brettljause in den Bergen oder ein Dim-Sum-Kochkurs im chinesischen Xian.

Reisejournalismus heißt Geschichten erleben und erzählen

Seit über 14 Jahren arbeite ich als Journalistin. Mit Leidenschaft und einer großen Portion Idealismus verfasse ich Reisereportagen für deutschsprachige Medien. Im Auftrag von Redaktionen nehme ich an Pressereisen teil oder recherchiere auf eigene Faust und eigenes finanzielles Risiko. Begegnet mir unterwegs eine gute Story, dann biete ich diese Magazinen oder Zeitungen an. Ist der Chefredakteur davon überzeugt, wird mein Text gedruckt und es gibt ein Honorar. Reich wird man nicht. Manchmal sind nur knapp die Kosten gedeckt. Von der tagelangen Textarbeit oder aufwendigen Recherche gar nicht zu sprechen. Doch wer gut ist, kann davon leben. Aber ums Geld geht’s mir nicht. Es ist auch viel mehr als ein Beruf. Ich will gute Geschichten erzählen. Keine erfundenen. Reale Geschichten über Menschen und Orte. Geschichten, die das Leben schreibt. Überall auf der Welt.

Reisejournalismus ist kein Urlaub

Und wie war der Urlaub? Welcher Urlaub? Du warst ja weg… Ja, in Südengland. Na, eben. Aber das war kein Urlaub. Nein, was denn dann? Arbeit. Aha. An diesem Punkt ist der Small Talk meist beendet. Irgendwie verständlich. Reisejournalismus – das klingt nach Abenteuer und einem richtig angenehmen Leben. Zugegeben, der Beruf ist toll. Für mich gibt es nichts Schöneres als das Schreiben mit dem Reisen zu verbinden. Doch es gibt Schattenseiten: Eine Recherchereise ist verdammt anstrengend und hat mit Ruhe oder Entspannung wenig zu tun.

Ein paar Stunden Schlaf sind eingeplant, ansonsten jagt ein Programmpunkt oder Termin den anderen. Was Touristen innerhalb zwei Wochen besichtigen, wird in vier Tagen erledigt. Inklusive Interviews und Fotos. Es hat viel mit sammeln und jagen zu tun. Vor der Abreise entsteht eine grobe Idee über die zu schreibende Geschichte. Alles was dazu passt, wird gesammelt. Fakten, Hintergründe, Eindrücke vor Ort.

Auf einmal ist der rote Faden da und die Jagd beginnt. Die Sinne sind hellwach, scharf. Die Waffen, also Stift, Papier und Kamera, griffbereit. Erleben, entdecken, erfahren, erspüren, erforschen, erinnern. Alles wird festgehalten, wenn nicht auf Papier, dann im Kopf. Die Story ist erlegt und wird sicher nach Hause gebracht. Manchmal kommt es aber anders als geplant. Hindernisse und Pannen gehören dazu. Gesprächspartner erscheinen nicht zum Interview. Schlechtes Wetter vermasselt das Foto. Speicherkarte für die Kamera vergessen. Akku leer. Flug gestrichen. Taxifahrten ins Ungewisse. Geburtstag in der Wartehalle anstatt bei der Familie. Nervige Reisebegleiter. Kopierte Kreditkarten in der Karibik. Magenverstimmungen auf Mallorca.

Reisen überwindet Grenzen

Es ist Winter in den schottischen Highlands und ich bin schweißgebadet – vor Angst. Über dreißig Jahre habe ich mich erfolgreich von Pferden ferngehalten. Bis vor einigen Monaten. Dann stand Pferdetrekking am Programm. Nach der Reihe werden alle mit Reithelm ausgestattet und bekommen ein Pferd zugeordnet. Stattliche Prachtkerle. Zweimal so hoch wie ich. Dann höre ich meinen Namen. Mit schlotternden Knien blicke ich um die Ecke. Da kommt er: Teddy. Haselnussbraun, klein und dick. Erleichterung macht sich in mir breit und wage mich das erste Mal in den Sattel. „Walk on, Teddy!“ Langsam setzt sich das gut ernährte Pony in Bewegung und trottet seinen großen Artgenossen hinterher. Gemächlich. Als absoluter Reitneuling brauche ich nichts zu tun.

Teddy kennt den Weg. Vorbei an der Steinmauer, der grünen Koppel und den Ruinen folgt er dem Fluss Tay zurück in die Ferienanlage. Ich hätte auf seinem Rücken eine Party veranstalten können, es wäre ihm egal gewesen. Als ich absteige tätschle ich Teddys Hals und bin dankbar. Dankbar für eine neue Erfahrung. Dankbar für die Herausforderung. Selbst wenn es nur Kleinigkeiten sind, sie lassen unsere Persönlichkeit wieder ein Stückchen wachsen. Wie der selbst hergestellte Gammelhai vom Isländer Kristjan, den er stolz kredenzt. Kneifen gilt nicht. Luft anhalten wegen dem stechenden Geruch, reinbeißen, lächeln und runter schlucken. Ich nehme es gelassen. Schließlich fördert und fordert das Reisen Flexibilität, Offenheit, Toleranz, Anerkennung sowie Wertschätzung für das Andere. Das Neue. Das Fremde. Und es lässt Freundschaften entstehen, zu Zwei- und Vierbeinern.

Reisejournalismus zeigt die Wunder des Alltags

All die Schattenseiten können das Fernweh nicht stillen. Es ist eine Sucht. Einmal damit angefangen, kann man nur schwer aufhören. Bin ich zu lange Zuhause, werde ich unruhig. Trotz all der Strapazen tanke ich unterwegs Kraft. Ich bin weder der Backpackertyp, der mit Rucksack und Zelt vier Wochen durch Asien tourt, noch halte ich es in All-inklusive-Clubs aus. Da wird mir schnell langweilig.

Ich will das Land erobern, die Menschen kennen lernen, Hintergründe wissen. Fragen stellen. In Reportagen steht meist nicht die Reise an und für sich im Mittelpunkt. Es geht darum, das Fremde nahe heran zu holen. Einen Ausschnitt zu zeigen, einen magischen Moment zu beschreiben. Deshalb wird ein Reisejournalist selten seine Geschichte mit dem Anflug auf Jamaika beginnen. Obwohl der spektakulär war: Der Pilot erwischte mit Ach und Krach die Piste. Trotzdem. Geschrieben habe ich über den schrägen Typen vom Strand und den Reggae, der beim Erklimmen der Wasserfälle hilft.

Einblick ins Schreiben

In guten Reisereportagen kommen auch die Wellblechhütten am Straßenrand und die aufdringlichen Verkäufer vor. Das Ich, anders wie in diesem Beitrag, tritt in den Hintergrund. Außer bei Selbstversuchen. Die Bühne wird den Menschen, der Natur oder den Tieren überlassen.

Der Leser wird direkt ins Geschehen hineingeworfen, er ist via Kopfkino live dabei. Wie bei einem Film wird mit Szenenwechsel, Rückblenden, Nah- und Ferneinstellungen, Perspektivenwechsel und O-Tönen, also direkten Aussagen oder Zitaten, gearbeitet. Der Text ist dramaturgisch aufgebaut, an ihm wird lange gefeilt. Informativ und spannend soll das Ergebnis sein. Lust machen aufs Entdecken. Harte Arbeit, die unheimlichen Spaß macht.

Reisejournalismus hört nie auf

Aurelius Augustinus sagte einmal: „Die Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon.“ Ich will so viele Seiten wie möglich sehen. Und vielleicht inspirieren Sie meine Zeilen dazu, auch das Weite zu suchen, den Stift mitzunehmen und das Erlebte festzuhalten. Wobei Reisen nicht unbedingt mit weit wegfahren verbunden ist. Gleich ums Eck warten viele Geschichten, die erzählt werden wollen.

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